Wenn ein Mathematiker dem Küchenchef
den von ihm servierten halben Fisch zu einem viertel Fisch herabrechnet
Dieses Erlebnis im Hotel Gasthof zur Post in Königstein zählt für mich zu den lächerlichsten Ereignissen auf einer unserer Reisen in diese Region. Dem betroffenen Wirt allerdings, fehlten am Ende die Worte.
Der auf dem Teller des Gastes betroffene Karpfen aus der Oberpfalz wuchs in einem der zahlreichen Teiche aus der Region auf. Die Gegend hält für die Teichwirtschaft günstige Rahmenbedingung bereit. Der Karpfen mag moderat warmes Teichwasser, welches durch das milde Klima in Verbindung mit der Höhenlage der Teiche oft optimale Wassertemperaturen bewirkt. Gleichzeitig finden die Tiere im Teich viel Naturfutter und werden in der Regel nur sparsam beigefüttert. Daraus ergibt sich zwar ein langsameres Wachstum der Tiere, aber der Lohn ist ein festeres und nicht zu fetthaltiges Fleisch. So ist der Fisch nach etwa 3 Sommern schlachtreif.
Oberpfälzer Karpfen
Nach dem Abfischen wird der Karpfen in frischem und klaren Wasser gehalten (in den um die Weihnachtszeit spielenden Geschichten meiner Gegend ist das die Badewanne… Woran man erkennt, das wir NRWler das Handwerk mit den Karpfen wohl nicht richtig verstehen…). Das Wässern wird in der Oberpfalz Haltern genannt und reinigt die Kiemen des Fisches vom Schlamm. Weil er keine Nahrung mehr bekommt, reinigt sich in kurzer Zeit der Darm und der “moderige” Geschmack wie bei einem eventuell direkt nach dem Fang zubereiteten Tieres weicht komplett. Der Begriff “Oberpfälzer Karpfen” ist mittlerweile geschützt und bürgt für eine sehr gute Qualität.
Ein solches Tier von der Qualität wie die oben beschrieben, wurde frisch geschlachtet und nach der Bestellung zubereitet. Und zwar in der gebackenen Art. Wie der Zufall es wollte, bestellten gleich zwei Leute im Lokal einen halben Karpfen. Der Mathematiker und ich.
Die Auflösung, warum ich überhaupt weiß, dass der besagte Herr dieser Berufsgruppe angehört, kommt noch weiter unten im Text…
Der Schmaus begann und beide Tische bekamen ihren Karpfen fast gleichzeitig serviert.
Ich hatte sofort große Freude an dem gut zubereiteten Karpfen mit Kartoffelsalat nach bayrischem Rezept. Und nach eingehender Begutachtung und Würdigung der Optik des Gerichtes begann ich mein Mahl. Zwei Tische weiter, ich vermutete dort die andere Hälfte meines Karpfens, war ebenfalls das Klappern von Besteck zu hören. Jedoch gab es dort Diskussionen. Der Mathematiker trennte sich zwar Stücke vom Fisch ab, aß sie, redete aber ständig in Richtung seiner Begleiter*innen.
Frage: Halb, oder nur Viertel
Was ich anfänglich als normale Unterhaltung deutete, wurde aber immer lauter. Man kam schließlich unfreiwillig mit, das es um die Größe des Tieres ging. Die Begleiter*innen wollten aber nicht so recht an die Vermutung des Mathematikes glauben, das er nur einen viertel Karpfen auf dem Teller hätte. Das Gespräch wurde zuerst im Ton ärgerlicher und der Mathematker wenig später ungehalten. Dennoch aß er zwischendrin munter weiter…
Nachdem der Herr mit den höheren mathematischen Weihen nicht wirklich von seinem Umfeld bestätigt wurde, rief er nach der Kellnerin und schilderte ihr seine Vermutung.
Die Frau sagte diplomatisch zu, dass sich der Chef der Küche persönlich zu ihm an den Tisch begeben und sich dem Anliegen bzw. der Beschwerde widmen würde.
Wenig später stand der Küchenchef dann auch am Tisch und hörte sich geduldig an, was der Gast zu sagen hatte. Da der Mathematiker nicht eben leise sprach, war zu vernehmen, dass sein Karpfen kein halber gewesen wäre, sondern nur ein viertel davon.
Genau, gewesen! Denn er hatte ja schon alles verspeist.
Nun, da es aber nicht um irgendeine Beweisführung geht und in der Oberpfalz der Gast König ist, drückte der Küchenchef sein Bedauern über die Unzufriedenheit seines Gastes aus. Aber alle Angebote zur Behebung der Unzufriedenheit (ich bereite ihnen gerne eine weitere frische Hälfte zu… kostenlose Nachspeisen für alle am Tisch… oder Preisnachlass…) und auch die Erklärungen zur Art und Weise der Teilung des Tieres blieben letzlich fruchtlos.
Der Gast wurde stattdessen erneut laut und betonte in Ermangelung wirklicher Argumente, er sei ein Mathematiker und ihm müsste keiner erläutern was ein halber oder ein viertel Fisch sei!
Da fehlten dann auch dem Fachmann und der Fachfrau am Ende die Worte. Dem Gast hatte es zwar gemundet, aber seine Meinung zum “viertel Karpfen” blieb unumstößlich. Mit finsterer Mine verließ er schließlich das Gasthaus.
Ein Restaurant zu betreiben ist nicht nur arbeitsintensiv, sondern auch manchmal undankbar…
Karpfen fachgerecht zerteilen
Dieser Vorfall war der Grund dafür, dass ich später vom Küchenchef gezeigt bekommen habe, wie sorgfältig der Karpfen nach dem Schlachten bearbeitet wird und tatsächlich zwei annähernd gleich große Hälften entstehen.
Der Fisch wird im Prinzip entlang des Rückrades geteilt. Zunächst erfolgt nach dem Entfernen der Innereien gegenüber dem Anfang der Rückenflosse (Sägestrahl) ein Einstich welcher am Rückrad auf einer Seite herausschaut. Entlang des Rückrades erfolgt nun der Schnitt in Richtung Schwanzflosse. Kurz vor der Schwanzflosse dann muss dass Messer steil hinab in Richtung Schwanzwurzel gehen und dort dann den Schnitt weiter führen. Nur so lässt sich die Teilung der Flosse exakt realisieren.
Dort, wo der Schnitt in Richtung Schwanzflosse angesetzt wurde, wird nun ein weiterer Schnitt in Richtung Kopf bis hin zum Schädel geführt. Der Schädel kann entweder mit dem Messer geteilt werden (wenn man weiß wo man hebelnd ansetzen muß), oder mit dem Schlachterbeil.